Busfahrt

Am Busbahnhof beobachte ich die Menschen. Niemand schaut mir in die Augen oder nimmt mich bewusst wahr – auch gut. Bushaltestelle Kante H. Wart mal, wie ging das mit den Strichen und dem Universum? H = vertikale Striche = Info kommt top-down oder bottom-up. Horizontale = Verbreiten, verbinden. In Gedanken versuche ich die H-Form zu rotieren und dabei nicht logisch zu denken – das wäre ja eigentlich einfach für mich. Supi, Rotation klappt – sogar Propellern geht. Es windet zwar mordsmässig, ist auch cool, jetzt habe ich doch etwas Respekt. Stoppe das Gedankenexperiment bevor noch etwas passiert.

Steige in die Nr. 80, tiptop, das passt. Die 8 -obwohl superkarmisch- ist meine Lieblingszahl nach 3, 6 und 9. Eine ältere Dame setzt sich in die Nähe. Ihr Blick ist suchend, irgendwie traurig, sie wirkt komplett verloren. Niemand nimmt sie wahr. Am liebsten möchte ich sie umarmen, ihr sagen, dass alles gut ist, wie es ist, dass sie sich keine Sorgen machen muss. Alles ist zwar total aus den Fugen, aber das muss jetzt so sein für den Aufstieg in die 4. Dimension, sonst checken wir es echt nie. Aber vor allem möchte ich ihr sagen, dass ich sie sehe, sie ist nicht alleine, wir sind nie alleine, und dass ich sie liebe, bedingungslos – glaube ich zumindest. Nichts von all dem kommt jedoch über meine Lippen.

Beschämt studiere ich stattdessen den Bildschirm mit den nächsten Stopps. Ich entscheide mich kurzfristig für 6 Haltestellen, die ‘5’ reicht nicht – brauche definitiv heute einen starken Ausgleich.

Während der Fahrt schaue ich in den Himmel. Könnte sich nicht endlich mal ein Ufo zeigen, genau hier und jetzt? Die Wolken sind zu tief – eher unwahrscheinlich. Vorbei geht die Busfahrt am ‘Türken Laden’. Der bulgarische Käse in der Dose ruft mich schon. Vor meinem geistigen Auge sehe ich haargenau die grüne, grosse Dose. Inhalt: 4 runde Käse. Aussendrauf eine bulgarische Kuh! Sogar das gelbe Preisschild erscheint – CHF 10.45 (10 = 1 = Neubeginn). Die Zahlen, die Farben, die Anzahl der Zitzen (4), die Form des Käses. Es ist nicht anders möglich: Das muss ein spiritueller Käse sein.

Wenn ich dann dort bin, soll ich der Verkäuferin gleich noch sagen, dass ich jetzt das türkische Joghurt selber mache und sogar noch das Pulver aus der Darmflora Kapsel reingemischt habe? Das enthält nämlich den ‘Bazilus Bulgaricus’! Vielleicht keine so gute Idee. Freue mich ‘trotzdem’ auf sie. Sie ist nämlich total konsequent, sie schaut mir NIE in die Augen. Das bewundere ich, diese Konsequenz. Da kann ich mir als Aszendent Zwilling echt noch eine Scheibe abschneiden.

Beim 3. Bussstop steigt ein Paar ein. Die Frau ist wirklich sehr gross, alles an ihr ist riesig. Überlege mir, ob ich nicht doch schon geschrumpft bin? Und das, obwohl ich mir echt fest vorgenommen habe zu wachsen – physisch! Hagrid kommt mir in den Sinn, trägt sie allenfalls dieses Genom in sich? Oder kommt sie von einem anderen Planeten, so vom Ursprung her? Dann hätte ich natürlich Glück, es wäre sozusagen ein Vergleich zwischen Irdisch und Nicht-irdisch. Das ist dann wie Äpfel und Birnen vergleichen – das geht natürlich gar nicht so ein Vergleich. Beschliesse, dass ich mich in meinem Wachstumsexperiment nach wie vor total auf der Zielgeraden befinde.

Im Bus schaue ich mich um. Alle tragen Ohrstöpsel, schauen auf ihr Handy oder sind in einer anderen Welt. Ein junger Man schaut mir ‘dätschgerade’ in die Augen. Wart mal, hat er mich tatsächlich bewusst angeschaut, mit seinen physischen Augen? Könnte ein Telepath sein. Ohalätz, jetzt muss ich aber aufpassen, was ich denke! Licht und Liebe, Licht und Liebe, Licht und Liebe -der denkt sicher, ‘die hat einen an der Waffel’- obacht, nicht abschweifen, volle Konzentration: Licht und Liebe, Licht und Liebe. Uff, der Bus stoppt, Ziel erreicht, wie anstrengend ist das denn diese Gedankenhygiene.

Beim Aussteigen bemerke ich, dass meine Füsse den Boden quasi nicht berühren – ich schwebe, gehöre irgendwie gar nicht zu dieser heutigen Welt. Und endlich verstehe ich, warum ich Venenprobleme und Besenreisser habe. Gut habe ich bald einen Termin im Fish Spa, die holen mich wieder runter und verbinden mich mit der Erde, mit unserer lieben Mutter Gea.

Danke, dass ich die Welt anders erfahren, neu sehen darf.

Sibylle Emilie Windisch, Oktober 2024