Paartherapie vom Feinsten

Kürzlich unterhielt ich mich mit einem Arbeitskollegen. Ich schwärmte ihm vor, wie supercool und Lebensverändernd es ist, wenn man Tanzstunden nimmt. Alle Extremitäten Hände, Füsse, rechts, links, Becken, Wirbelsäule, Hals, ja sogar die Organe und noch vieles mehr werden aktiviert. Der Rhythmus der Musik und die Figuren beim Tanzen werden meist auf 4 oder 8 gezählt. Dadurch aktivieren sich die 4 Elemente Erde, Wasser, Feuer, Luft in uns. Wie bei der Rumba, einer meiner Lieblingstänze – im Moment. In Fahrt kommend, erkläre ich ihm, dass die 8 in uns die Ewigkeit und Unendlichkeit anspricht. Zum Beispiel die Samba – auch einer meiner Lieblingstänze – wird auf 8 gezählt, jedoch hängt zwischen den Zahlen noch eine ‘und’. 

Spontan überlege ich, dass Samba sogar besser ist als Rumba, denn die Energien intensivieren sich durch das ‘und’. Ha, ich erkenne superklar das Zeichen des Universums. In Gedanken zähle ich die Samba-Zahlen zusammen: 1 und 2, 3 und 4, 5 und 6, 7 und 8. Das ergibt 36. Nun noch rasch auf eine Stelle reduzieren 3 + 6 = 9. 

OMG, ich wusste es! Die 9 repräsentiert die Dreieinheit in der Vollkommenheit. Es ist die Verbindung von Körper, Seele, Geist in sich und mit allen energetischen Körpern – oder so. Samba ich liebe dich abgöttisch.

Restlos begeistert von meiner Genialität und der soeben gewonnenen Erkenntnis geht es nun wortmässig im Quickstepp weiter. Ich erkläre dem Kollegen, dass die Figuren, die man zu den verschiedenen Tänzen tanzt, auf der heiligen Geometrie und Numerologie basieren, die Tanzfiguren bilden Kreise, Dreiecke, Vierecke und noch komplexere geometrische Figuren wie Hexagone und Octagone wie bei der Salsa Rueda. Dazu kreisen die Hüften in einer 8 – im Idealfall. Sogar die Zellen singen mit, dass kann frau und sogar man hören. Und dass eben genau deswegen Tanzen auch gleichzeitig Heilung ist.

Dass der Disco Fox von alldem die Ausnahme bildet, dass dieser Tanz komplett einseitig ist -aus meiner Sicht. Und von jemandem erfunden wurde, der auf der linken Körperseite ein totales Defizit gehabt haben muss (!) und dieser Erfinder einfach seine Weiblichkeit aktivieren wollte – bewusst oder unbewusst. Das erwähne ich nicht. Und dass ich höchstpersönlich den Disco Fox nicht als Tanz einordne, sondern als ein unzumutbares, unlogisches Bewegen zu Musik. Dass diese Bewegungsabfolge meiner inneren Harmonie so was von widerstrebt. Was dazu führt, dass ich bei jeder Hundsverlochete wie bestellt und nicht abgeholt warte, bis wieder anständige Musik läuft. Das sage ich natürlich auch nicht. Ich will ihn auf keinen Fall demotivieren. 

Grosszügig übersehe ich nun den leicht überforderten Gesichtsausdruck meines Arbeitskollegen und setze zu meinem überzeugendsten Argument an: ‘UND Tanzen ist die ‚besteste‘ Paartherapie!’  Hoplà, der hat gesessen.

Nach meinem Wortschwall überlegt der elsässische Arbeitskollege und meint dann: ‘Güeti Idee! Mi Fràu un èsch mechta scho làng Tànz Stunda na! Kënnsch dü uns d’Ädrassa vo dim Tànzlehrer gaa? M’r däta gärn Disco Fox leira…’

Zähneknirschend willige ich ein und gebe ihm die Koordinaten durch. 

Bei der nächsten Tanzstunde üben wir die ChaChaCha Choreographie. Ich schwinge mich ein, lasse los – so gut das geht bei mir. Versuche die Beine beim 1, 2, 3 zu strecken und beim ChaChaCha die Hüften voll entspannt in einer 8 zu bewegen. Ich spüre in meine Füsse hinein, freue mich schadenfreudemässig, dass ich in meiner Kreativität dem Fersensporn ein Schnippchen geschlagen habe. Seit Wochen trage ich im Training hohe Absätze!  

Unser Tanzlehrer meint nun, ich soll die eine Passage alleine ohne die Hilfe von meinem Mann tanzen. Weil wir so als Paar viel besser zu Geltung kommen. Wart mal, ich komme ja sowieso zu Geltung, was soll das denn jetzt? Mein Mann fühlt sich total bestätigt. Er findet eh, dass ich viel zu viel auf seine Hilfe angewiesen bin – nicht nur beim Tanzen… 

Nachdem ich die Figur gefühlte hundertmal alleine geübt habe, wirkt mein Bärli langsam genervt. Das überträgt sich innerhalb von Nanosekunden sofort auf mich. Kein Wunder, schliesslich sind wir ja geistige Hälften. Ich überlege, wie ER sich nun beruhigen könnte, damit ICH nun endlich diese Passage korrekt tanzen kann.

Also heute chnoorzt es irgendwie. Vielleicht ist Vollmond oder Neumond? Das würde dann natürlich alles erklären – logisch. ICH wäre ja komplett flexibel und beweglich als doppelte Luft aber eben… 

Nun wechseln wir zur Samba Choreo. Jupii, in Gedanken singe ich zu meiner absoluten Lieblingsmusik mit. Dabei konzentriere ich mich gleichzeitig auf die Aussenseite des grossen Zehen. Ich habe herausgefunden, dass ich mein physisches System so überlisten kann und sich dann automatisch mein Bein streckt. Mein Einfallsreichtum ist einfach fabulös. Ha, die drei Schritte, die ich bei der Samba alleine tanzen muss, meistere ich sicher mit Bravour – keine Frage. 

Schtärnefeufi, was ist denn los heute? Das gibt es doch gar nicht. Ich bin nicht nur instabil, jetzt kann ich sogar nicht mehr richtig zählen. Ich bin überzeugt, im Tanzstudio muss es eine Verwerfung oder eine Wasserader geben. Es kann unmöglich an mir liegen!

Derweil ich die drei Schritte fast endlos wiederhole, spitzt sich die Gemütslage bei meinem Mann zu. Was sich natürlich direkt auf mich überträgt. Nun ist die Abwärtsspirale voll am Drehen und nicht mehr aufzuhalten. Total frustriert schaue ich auf die Uhr, versuche die Zeit schneller laufen zu lassen. Geschafft, das war ein Chnüübu – ein absolutes Desaster. So schlecht habe ich mich schon lange nicht mehr gefühlt.

Auf der Rückfahrt in meiner Misere schwelgend sage ich: ‘Ich kann überhaupt nicht tanzen (obwohl wir seit Jahren Privatstunden nehmen). Der linke Fuss dreht nie nach aussen (Fersenspornvermeidungstaktik hin oder her). Die Hüften kreisen überhaupt nie in der 8 und sind total eingerostet (kein Wunder mit Ü50). Meine Arme sind einfach unverhältnismässig lange (es ist mir egal, dass die Atlanten auch lange Arme hatten). An Gewicht habe ich ebenfalls zugelegt (auch wenn das Normal ist im Winter). Wegen meinen +Kilos können wir nicht einmal mehr meine Lieblingshebefigur machen. UND jeder Celebrity bei der Tanzsendung von Let’s Dance bewegt sich nach ein paar Wochen besser als ich!’ 

Mein Mann schaut mich an und meint lapidar: ‘Die vo Let’s Dance trainiere jede Daag mehreri Schtunde, isch doch logisch chönne die das besser.’ Das hilft mir jetzt grad gar nicht weiter – im Gegenteil. So nimmt die Tragödie ihren Lauf, denn nun produziere ich als geborene Dramaqueen noch ein paar Tränen. Das ist sogar für mein Bärli zuviel: ‘Es längt jetzt mit dym Sälbschtmitleid, das isch jo gruusig.’

Ohjee, jetzt habe ich auch noch Stress mit dem wichtigsten Menschen in meinem Leben. Zu Hause angekommen gibt es nur noch eins. Ab ins Bett und Flucht in das Land der nächtlichen Reisen, Träume und Visionen. Alles ist besser als das Hier und Jetzt! 

Am nächsten Morgen läuft mir als erstes der Arbeitskollege über den Weg. Er strahlt mich an und sagt : ‘Bonjür Sibylle, merci fir d’Ädrassa. M’r hänn jetz be dim Tànzlehrer e Probschtund büecht.’…

Sibylle Emilie Windisch, November 2024